Franz Billmayer singt in der
Akademie München
von Uli Schuster "Kunsterziehung als Dienstleistung" ist der Text überschrieben, den die BDK-Mitteilungen als eine überarbeitete Version des Vortragstexts vom 'Vorsingen' für den vakanten Lehrstuhl für Didaktik der Kunsterziehung an der Münchener Akademie abdruckt. Was kann man von einem Aufsatz erwarten, der auf zwei Druckseiten eine Situationsanalyse zum Schulfach Kunsterziehung gibt und davon abgeleitet Perspektiven für das Fach, seinen Inhalt, seine öffentliche Präsentation und seine Ausbildungsstrategien bieten will? Immerhin scheint so ein Text auszureichen für eine Bewerbung auf einen Lehrstuhl der Fachdidaktik und dabei ist zu vermuten, daß die Vorträge anderer Bewerber nicht einmal dieses Format erreichen. Kunsterziehung und
Dienstleistung - überhaupt Erziehung und Dienstleistung, das spricht
als volkswirtschaftliche Erkenntnis nicht gerade eine revolutionäre
Einsicht aus, für viele Pädagogen allerdings scheint der thematisierte
Zusammenhang eine harte Nuß. Man denkt an Bildungsansprüche
sowie Effektivitätskriterien für Unterricht und deren Überprüfung
durch außerschulische Institute oder Gerichte, man denkt an ein gesteigertes
Interesse von Eltern und Schülern bei der Mitsprache um das, was im
Unterricht passieren soll und wie es passieren soll und man denkt an eine
gesteigerte Bereitschaft der Gesellschaft Schule und Lehrer verantwortlich
zu machen für Fehlentwicklungen und Versagen von Jugendlichen in vielerlei
Hinsicht: Jugendkriminalität, Weltflucht im Drogenkonsum, Null-Bock-Mentalität...
Dabei kommen die Kunsterzieher in der Regel noch gut weg gegenüber
den Fachlehrern, die traditionell zu den Kern- und Auslesefächern
zählen und die zwangsläufig die Genzen der Bildungsfähigkeit
einer wachsenden Bildungskundschaft deutlich machen müssen. An uns
bleibt doch bestenfalls der Vorwurf des "Spaßverderbers" hängen,
wenn unsere unterrichtliche Performance den Unterhaltungswert nicht erreicht,
den sich Schüler , Eltern oder Schulleitung wünschen.
Überschriften haben die Funktion einen Leitgedanken zu formulieren, dem der Text folgt. Die Überschriften in Billmayers Text folgen einem solchen Konzept: "Das Produkt", "Eine neue Produktfilosofie", "Ein neuer Produktname", "Konkurrenz", "Marketing" halten begrifflich den ökonomischen Gedanken durch. "Das Produkt",
sagt Billmayer, "muß sich an den Bedürfnissen der Schüler
orientieren". Es geht um "Bilder verstehen", "Eigene Bilder
entwickeln", "Kunst verstehen". Die Schlagwörter klingen weniger
aufregend als der in ihrer Reihenfolge zum Ausdruck gebrachte Akzent. Billmayer
geht es um eine Bilderziehung, Kunst steht dabei hinten an. Es geht ihm
um "Bilder, die die Lebenswirklichkeit der Schüler und Eltern ausmachen".
"Kunsterzieher"..."müssen sich auch um die Bilder kümmern, die
eine gesellschaftlich relevante Rolle spielen". Welche Bilder er damit
meint mag man sich denken, aber er spricht es nicht aus. Der Begriff Medien
kommt im ganzen Text dreimal vor, Design gar nicht, Massenkommunikation
einmal. Die "Welt der Bilder", in der wir nach Billmayer leben und
in Zukunft noch verstärkt leben werden, bleibt angesprochen aber anonym.
Wir Kunsterzieher sollen ihr jedenfalls mit "Zeichentheorie, Kognitionstheorie,
Kunstgeschichte, Bildsemiotik, Medientheorie, Wahrnehmungspsychologie etc.."
auf den Leib rücken.
Ich überspringe
die knappen Ausführungen zu einer neuen "Produktfilosofie"
und bleibe beim Produkt und dem neuen Namen, der nun entworfen wird, denn
hier vertieft Billmayer den aufgerissenen Graben zwischen Bild und Kunst.
"Der Begriff Kunsterziehung ruft eine Vorstellung hervor, daß
es in diesem Unterrichtsfach um Kunst geht. Dies ist nur selten der Fall."
Diese Aussage scheint mir sehr bemerkenswert. Sie ist gefolgt von einer
Unterscheidung zweier Kunstbegriffe. Einerseits einem "überholten
Kunstbegriff", der steht für "individuell hergestellte Bilder
und Skulpturen mit einem bestimmten Qualitätsanspruch" und andererseits
einem "aktuellen Begriff von Kunst", der "in erster Linie geprägt"
ist "durch spezifische Interpretationsregeln."
Was Billmayer zum "Marketing" des Produkts mit der vorgeschlagenen Artikelbezeichnung "z.B. Bild + Form" zu sagen hat kann nur Beifall finden. Schüler und Gesellschaft, Eltern und Politiker müssen überzeugt werden vom Gebrauchswert des Produkts. Das gelingt nur, wenn die in der öffentlichen Diskussion gehandelten Kriterien besetzt werden. Aber was hat die Kunsterziehung in dieser Hinsicht falsch gemacht? Sie hat sich immer genau nach der Rezeptur Billmayers verhalten, hat mit der Visuellen Kommunikation den Jargon der Bildungsdebatte der ausklingenden 60er Jahre aufgesogen, hat mit dem Kunstunterricht die Lerntheoretischen und curricularen Kategorien der 70er Jahre besetzt - Wissenschaftlichkeit und Leistungsfach um nur zwei zu nennen - , hat sich als schulischer Hort von Kreativität empfohlen und die Argumente der Gehirnforschung mit Beschlag belegt, hat sich der Sinnsuche der 80er Jahre mit einer Anlehnung an Kunsttherapie und Esotherik angeboten und hat sich in den 90er Jahren ein argumentatives Standbein im Vokabular der Multimedia-Debatte angeeignet. Das waren stets Argumente, "die in der Politik verstanden und verwendet" wurden. Waren es die falschen Argumente? Gibt es heute neue? Billmayer erwähnt in Klammer "Standort", Bildungsauftrag der Schule, Lebensbewältigung. Auch hier bleibt der Text unverbindlich, wünscht man sich mehr Deutlichkeit. Den "Konsequenzen für die Ausbildung von Bildlehrern" widmet der Text 10 Zeilen. Da kann nicht viel dabei herauskommen. Die interessantesten Ausführungen hierzu werden allerdings auch unter der Überschrift "Konkurrenz" abgehandelt. "Es ist auch denkbar, daß sich Angehörige anderer Berufe als Lehrer im öffentlichen Ausbildungsbetrieb anmelden: Grafikdesigner, Absolventen von Filmhochschulen, Multimediadesigner"...Diese Perspektive scheint mir in der Tat wert weitergedacht zu werden. Wenn der Kunstunterricht zur Bildlehre wird gibt es keine zwangsläufige Verankerung des Fachs mehr mit der Akademie als Ausbildungsstätte. Ein Fach, das sich "meist nicht mit Kunst" beschäftigt benötigt nicht das Kunststudium, in dem "Zeichentheorie, Kognitionstheorie, Kunstgeschichte, Bildsemiotik, Medientheorie, Wahrnehmungspsychologie" bestenfalls diffus oder am Rande vorkommen. Es ist nicht einzusehen, daß ein Absolvent der Filmhochschule oder ein Grafikdesigner hier fachlich weniger kompetent sein soll. Und es ist an den Schulen Tradition und wachsende Übung, daß Chemiker oder Physiker Fotokurse geben, Germanisten für das Schultheater und die Videogruppe zuständig sind, Informatiker Angebote in Bildbearbeitung und Multimedia machen. Was bleibt? Billmayers Fazit sieht "die Kunsterzieher grundsätzlich den kommenden Anforderungen gewachsen". Ein paar neue Schwerpunkte und im übrigen eine Auseinandersetzung mit Bildern, die "der künstlerischen Auseinandersetzung mit der Welt nicht zuwider laufen" muß, zumal es "in einer medial geprägten Welt jedem Künstler gut ansteht, sich mit Medien zu beschäftigen". Damit sind wir so schlau wie vorher und können auch sagen.: Im Grunde kann alles so bleiben wie es ist, wenn der Künstler das tut, was ihm gut ansteht, sich mit der Realität, in der er lebt, zu beschäftigen. Tut er das denn nicht? Oder reicht "beschäftigen" nicht aus um dann zu lehren, zu unterrichten? Warum haben wir denn
überhaupt ein Problem?
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